
Dr. Benjamin Marx, Dozent für Altes Testament am TSA
Hoffen in der Fremde
Dr. Benjamin Marx beschließt die dreiteilige Vortragsreihe zum Thema „Hoffnungszeiten“ beim TSA-Ehemaligentreffen im Mai 2025 in Adelshofen und setzt - als gerade aus Peru zurückgekehrter Missionar und Dozent - seinen ganz eigenen Akzent. Und er führt fort, was Dr. Rahel Siebald und Dr. Andreas Käser an den Tagen zuvor begannen. Hoffen in der Fremde, von Dr. Benjamin Marx.
Einleitung
Was für Gedanken, Vorstellungen, Gefühle kommen Dir beim Begriff „Endzeit“? Was für Gedanken, Vorstellungen, Gefühle kommen Dir beim Begriff „Mission“?
Zu diesen Begriffen fällt uns viel ein: manches Positives und bestimmt auch einiges Negatives. Der Philosoph Herbert Schnädelbach veröffentlichte im Jahr 2000 (also vor einem viertel Jahrhundert) in der Zeitung DIE ZEIT (Nr. 20) einen Essay mit folgendem Titel:1
„Der Fluch des Christentums:
Die sieben Geburtsfehler einer alt gewordenen Weltreligion.
Eine kulturelle Bilanz nach zweitausend Jahren“
Laut Schnädelbach ist einer dieser Geburtsfehler der Missionsbefehl. Warum? Weil, so Schnädelbach, der Missionsbefehl ein Toleranzverbot ist und „wo das Christentum tolerant wird, hat es sich in Wahrheit schon aufgegeben.“
Dieser Philosoph basiert seine Beobachtungen zu einem aus der Geschichte der Mission und zum anderen auf den biblischen Text aus Matthäus 28:
„Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker, indem ihr sie taufet im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.“
Christen sehen sich hierdurch als „Vollstrecker“ dieser Gewalt. Diese Gewalt- und Machtansprüche werden dann von den Christen schamlos ausgenutzt. Leider muss man zugeben, dass diese Beobachtungen seitens Schnädelbach durchaus in vielen Epochen zutreffen, wenn man sich die Geschichte des Christentums anschaut.
Die Frage wäre nun, ob Schnädelbach zu einem gleichen Ergebnis gekommen wäre, ob christliche Mission anders zu verstehen sei, wenn man beispielsweise auch den 1. Petrusbrief zurate zieht.
Wie dem auch sei, an diesem Morgen beschäftigen wir uns mit dem Missionsdokument, welches wir von Petrusfeder erhalten haben.
Vor-Überlegungen
Es ist durchaus richtig die Dokumente, welche wir das NT nennen, tatsächlich als Missionsdokumente zu bezeichnen.2 Leider wird dies aber in der neutestamentlichen Wissenschaft nur selten so aufgegriffen.3 Sprich, das Thema Mission ist also nicht unbedingt auf dem Schirm vieler Neutestamentler.4 Christoph Stenschke benennt einige Gründe dafür und ich möchte gerne zwei Gründer besonders hervorheben:5
- Neutestamentliche Forscher als Vertreter und Mitglieder etablierter Kirchen [keine oder kaum Berührung mit Mission; hier wäre natürlich mit Lesslie Newbigin und David J. Bosch zu sagen, dass wenn eine Kirche aufhört missional zu sein, sie ihre Identität aufgibt und somit aufhört Kirche zu sein6]
- Mission als Problem – auch unter Theologen[Imperialismus, Kolonialismus … was wir ja auch bei Schnädelbach so erkennen konnten]
An diesem Morgen wollen wir nun den 1. Petrusbrief etwas näher betrachten. Warum aber nun den 1. Petrusbrief? Der 1. Petrusbrief eignet sich in besonderer Weise, da dieser Brief bestimmt keine triumphale Missionsschrift ist. Viel mehr spricht dieser Brief von einer marginalen, sozial-politisch erst einmal unbedeutenden Bewegung (Christen waren zu dieser Zeit nicht die Mehrheit in der Bevölkerung). Diese marginale Bewegung, diese Jesus-Leute leiden. Sie leiden aber nicht nur, sondern verstehen gerade dieses Leid als Teil ihres christlichen Lebens, ihrer Identität.
Oder wie es Ehebruch- und Mordexperte, Andreas Käser, formuliert: Es ist ein Hoffen und Harren auf Gott, ein Einüben der „Glaubens-Frustrations-Toleranz.“
Wie sollen nun Jesus-Nachfolger in ihrer Umgebung leben? Wie ist das Verhältnis zwischen Christen und Gesellschaft – Kirche und Kultur?
In seinen theologischen Überlegungen zum Verhältnis von Kirche und Kultur schreibt der kroatische Theologe Miroslav Volf folgendes:
Die Überzeugungen und Praktiken einer christlichen Gemeinschaft sind untrennbar mit ihrem Charakter als soziale Realität verbunden; wenn man das eine ändert, wird man früher oder später auch das andere ändern.7
Wie wir als Gemeinde leben, hängt also auch grundsätzlich mit unserem Verständnis unserer Identität zusammen. Das, was wir glauben / von dem wir überzeugt sind, beeinflusst wie wir leben.
Und auch umgekehrt, wie wir leben (unsere täglichen Liturgien) beeinflussen das, was wir letztendlich für wahr halten – glauben.
Deshalb möchte ich den heutigen Vortrag in zwei Teile gliedern, welche nicht unabhängig voneinander zu sehen sind, sondern ineinander verzahnt betrachtet werden sollen. In einem ersten Schritt schauen wir uns unsere Identität via Eschatologie und Hoffnung im 1. Petrusbrief an—dies nenne ich einmal „wanderndes Hoffen“.
In einem zweiten Schritt betrachten wir unsere Praktiken wie Wortverkündigung, Lebensstil und Gastfreundschaft—diesen Teil benenne ich „hoffendes Wandern“
Es geht also um ein Hoffen in der Fremde. Nun zum ersten Schritt. Hierzu lohnt es sich evtl. die Bibel auf den 1. Petrusbrief hin aufzuschlagen
Wie sollen nun Jesus-Nachfolger in ihrer Umgebung leben? Wie ist das Verhältnis zwischen Christen und Gesellschaft – Kirche und Kultur?
Wanderndes Hoffen: Eschatologie und Hoffnung im 1. Petrusbrief
Bereits zu Beginn lässt Petrus anklingen, wie er unsere Identität versteht, denn er schreibt „den erwählten Fremden in der Diaspora“ (1,1; EÜ). Ja, wir sind Erwählte des dreieinen Gottes (Verse 1–2), aber wir sind auch gleichzeitig „Fremde in der Diaspora“.
Petrus schreibt hier an Christen in „Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und in Bithynien“. Manche dieser Regionen und Provinzen waren ja auch beim ersten Pfingstfest in Jerusalem laut Lukas vertreten (Apg 2,9–10).8
Fremde in der Diaspora—das ist unsere Identität. Überall zu Hause und doch nirgendwo. Wir sind Pilger, Fremde und Gäste. Wir leben hier in dieser Zwischenzeit: Zwischen Himmelfahrt und Wiederkehr unseres Herrn.
In dieser Zwischenzeit leben wir also in der Diaspora – wir sind Migranten in dieser Welt.
Eschatologie und Hoffnung
In seinem Buch Theologie der Hoffnung schreibt Jürgen Moltmann über die Zeit, in der wir uns befinden. Moltmann sagt: „Es ist die Zeit der Diaspora, der Saat der Hoffnung, der Hingabe und des Opfers, denn diese Zeit steht im Horizont einer neuen Zukunft.“9
Es ist die Zeit im Horizont einer neuen Zukunft. Diese neue Zukunft ist eschatologisch zu verstehen. Wir leben als am Ende der Zeit. Nicht, weil unsere Zeit Zeichen der Endzeit trägt, sondern weil diese neue Zukunft schon in unser „Hier-und-Jetzt“ eingedrungen ist.
Jacque Ellul drückt es laut, Ellul-Forscherin Siebald, so aus: „Hoffnung ist nur am Heute interessiert.“ Siebald selbst sagt: „Ob wir hoffen, verändert nicht die Zukunft, sondern ob wir Hoffnung haben, verändert wie wir heute leben. […] Hoffnung [ist] zwar in die Zukunft gewendet, aber sie betrifft uns heute.“
Petrus verankert diese Endzeit in der Vergangenheit (1,20) und in der Zukunft (1,5) verankert:10
„Schon vor der Erschaffung der Welt war Christus ´als Opferlamm` ausersehen, und jetzt, am Ende der Zeit, ist er euretwegen ´auf dieser Erde` erschienen“ (1,20; NGÜ)
„Gottes Kraft behütet euch durch den Glauben, damit ihr die Rettung erlangt, die am Ende der Zeit offenbart werden soll“ (1,5; EÜ)
Wir leben im „jetzt-schon-aber-noch-nicht“. Diese Zeit ist endzeitlich—eschatologisch—und von Hoffnung geprägt. Es ist nicht ein bangendes Hoffen, ein „Vielleicht, aber ich weiß es nicht genau. Ich glaube schon.“
Nein, es ist viel, viel mehr! „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns in seinem großen Erbarmen neu gezeugt zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten“ (1,4; EÜ).
Es handelt sich um eine „lebendige Hoffnung“ welche durch die Auferstehung des Gottes-Sohnes begründet und fixiert ist … und bleibt. Und es ist diese Kraft Gottes (1,5), welche uns hoffen lässt. Dies ist allerdings kein triumphaler Weg ohne Hindernisse—Leid und Herrlichkeit gehören zusammen wie man es in den Versen 6–11 des 1. Kapitels vernehmen kann.
In alle dem ist Gott der Handelnde. In seiner Studie Die Christen als Fremde: Die Metapher der Fremde in der antiken Welt, im Urchristentum und im 1. Petrusbrief schreibt Reinhard Feldmeier: „Das soteriologisch Entscheidende dabei ist die durch Christus eröffnete neue Zukunft, in die die Christen durch das Heilsgeschehen der Auferstehung hineingenommen sind und die so ihre Existenz hat neu werden lassen.“11
Christus eröffnet uns eine neue Zukunft, diese ist aber nicht irgendwann einmal, sondern im Hier-und-Jetzt … bzw. ist das Hier-und-Jetzt von dieser Zukunft bewegt. Es ist ein eschatologisches Hoffen, welche durch das „jetzt-schon-aber-noch-nicht“ geprägt ist.
Noch einmal Moltmann: “Eschatologie [heißt] die Lehre von der von der christlichen Hoffnung, die sowohl das Erhoffte wie das von ihm bewegte Hoffen umfasst.“12
Es ist ein Hoffen, um genauer zu sein, es ist ein wanderndes Hoffen.
Wanderndes Hoffen
Denn Petrus bezeichnet uns als Fremde (1,1), in der Fremde lebende (1,17) und ganz besonders in 2,11 als „Fremde und Gäste“ (ὡς παροίκους καὶ παρεπιδήμους). In 2,11–12 (NGÜ) lesen wir:
Liebe Freunde, ihr seid nur Gäste und Fremde ´in dieser Welt`. Deshalb ermahne ich euch, den selbstsüchtigen Wünschen der menschlichen Natur nicht nachzugeben, denn sie führen einen Krieg gegen eure Seele. Ihr lebt unter Menschen, die Gott nicht kennen. Führt darum ein vorbildliches Leben! Sie mögen euch zwar verleumden und als Übeltäter hinstellen, doch wenn sie all das Gute sehen, das ihr tut, lassen sie sich vielleicht eines Besseren belehren und werden das dann zur Ehre Gottes auch anerkennen, wenn er am Tag des Gerichts Rechenschaft von ihnen fordert.
Wir können hier schon sehen, dass unsere Identität und unser Lebensstil in Einklang sein sollten … dazu aber später noch einmal ein wenig mehr. Lasst uns noch ein wenig bei dem Gedanken „Fremde und Gäste“ verweilen.
Diese Begrifflichkeit ist bereits in der griechischen Übersetzung des AT (LXX) bekannt. Und zwar tauchen beide Wörter gemeinsam nur bei Abraham als auch bei David auf.
Abraham: Gen 23,4
Nachdem Sarah gestorben ist, bittet Abraham die Landsleute in Kanaan um ein Stück Land, um dort seine verstorbene Frau begraben zu können. Dies lesen wir in 1. Mose 23. Dort beginnt Abraham seine Bitte an die Kanaaniter folgendermaßen: „Ich lebe hier nur als [Fremder und] Gast (Πάροικος καὶ παρεπίδημος ἐγώ εἰμι) und besitze kein Land. Bitte verkauft mir ein Grundstück als Grabstätte für meine Familie, damit ich dort meine verstorbene Frau bestatten kann“ (NGÜ + BM).
Abraham war tatsächlich nur Fremder und Gast, da er kein Landebesitz in Kanaan hatte. Aber der Begriff „Fremder und Gast“ wird nicht nur sozial-politisch verstanden. Bei David sehen wir dies ganz besonders. Dort scheint die Aussage eine eher theologisch-metaphorische Dimension anzunehmen.
David: Psalm 39 & 1 Chr 29
Im Psalm 39 lesen wir: „Höre auf mein Gebet, HERR, und vernimm mein Schreien! Schweige nicht zu meinen Tränen! Ich bin ja nur ein Gast bei dir, ein Fremder wie alle meine Vorfahren“ (39,13; NGÜ). Im gleichen Psalm spricht David von der Endlichkeit und Vergänglichkeit:
Lass mich begreifen, HERR, dass mein Leben begrenzt ist und meine Erdentage kurz bemessen sind! Lass mich erkennen, wie vergänglich ich bin!
Meine Lebenszeit gleicht in deinen Augen nur einer Handbreite, meine Zeit auf dieser Erde ist vor dir wie ein Nichts. Der Mensch ist nur ein Hauch, selbst wenn er noch so kraftvoll dazustehen scheint. // Wie ein Schatten geht der Mensch ´über die Erde`, um sinnlose Dinge machen die Leute viel Lärm. Sie häufen Besitz auf, aber letztendlich weiß niemand, für wen (39,5–7; NGÜ)
Im gleichen Atemzug spricht David „Worauf soll ich denn nun meine Hoffnung setzen, Herr? Mein Warten und Hoffen gilt allein dir!“ (39,8; NGÜ).
Wir treffen in diesem Psalm also auf die Endlichkeit und die Hoffnung des Menschen, welcher nur „Gast und Fremder“ ist.
Auch 1 Chr 29,14-15 spricht von dieser Begebenheit. Obwohl König David sicherlich bereits … ein wenig … Land besitzt, bezeichnet er sich als „Gast und Fremder“ und spricht wiederum vom vergänglichen Leben (29,15). Es scheint also als würde man sich mit diesen Begriffen auf eine Lebenseinstellung beziehen. Feldmeier sagt hierzu: „Fremde bezieht sich im AT also auf die personale Unterscheidung zwischen Gott und den von ihm abhängigen, endlichen Menschen.“13
Ja, wir sind Fremde und Pilger, aber dieses „Fremdsein wird nicht aus dem Widerspruch zu Gesellschaft, sondern aus der Entsprechung zu Gott und der Zugehörigkeit zu seinem Volk begriffen.“14
Zwar sind wir Fremde—πάροικοι—, doch auch schon Teil des οἶκος τοῦ θεοῦ—dem Haus oder der Familie Gottes (1 Pt 4,17).
Volf formuliert es wunderbar, wenn er schreibt, dass „das neue Zuhause von Gottes Zukunft herkommt. Die Neugeburt beginnt die Reise zu diesem Zuhause.“15
Wir sind also Fremde und Gäste und pilgern zu unserem wahren Zuhause: es ist eben ein wanderndes Hoffen.
Und in diesem Haus Gottes rufen wir jetzt schon „Vater“ (1,2.3.17):
Und wenn ihr Gott im Gebet als Vater anruft, dann ´vergesst nicht, dass` er auch der unbestechliche Richter ist, der jeden nach dem beurteilt, was er tut. Führt daher, solange ihr noch hier in der Fremde seid, ein Leben in der Ehrfurcht ´vor ihm`(1,17; NGÜ)
Dass Petrus uns Christen also als Fremde, Gäste oder Pilger bezeichnet, eröffnet uns nicht nur einen neuen Zugang zu unserer Identität, sondern auch einen Zugang zu unserem Verhältnis zu Welt.16
Ja, wir sind Fremde und Pilger, aber dieses „Fremdsein wird nicht aus dem Widerspruch zu Gesellschaft, sondern aus der Entsprechung zu Gott und der Zugehörigkeit zu seinem Volk begriffen.“
Hoffendes Wandern: Wortverkündigung, Lebensstil und Gastfreundschaft im 1. Petrusbrief
Noch einmal Miroslav Volf: „Was die Epistel durchdringt, ist nicht die Fixierung auf die Distanz zur Welt, sondern die Begeisterung für die eschatologische Zukunft.”17 Es geht also nicht um ein Sich-Abwenden, keine Isolierung, sondern eine Sich-aus-der-eigenen-Identität-zuwendende-Liebe-zur-Welt.
Wir sind unterwegs, heim zu unserem Vater:
Und wenn ihr Gott im Gebet als Vater anruft, dann ´vergesst nicht, dass` er auch der unbestechliche Richter ist, der jeden nach dem beurteilt, was er tut. Führt daher, solange ihr noch hier in der Fremde seid, ein Leben in der Ehrfurcht ´vor ihm`(1,17; NGÜ)
Unsere Rolle in Gottes Mission besteht darin, an seiner Mission teilzuhaben, seinen Namen groß zu machen—in Wort und Tat. Dazu sind wir geschaffen. Wir sind geschaffen, um mit ihm eins zu sein. Durch uns werden die Menschen um uns herum sehen, wer Gott ist, was er in Jesus Christus getan hat.
In seinen Bekenntnissen (Conf. 1.1) schreibt der Kirchenvater Augustinus: „Geschaffen hast du uns im Hinblick auf dich, und unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir.“ Augustinus sagt also unser Herz sei unruhig, bis es in Gott ruht. Man könnte also auch sagen: Unser Herz ist unruhig bis wir Gott als „Abba/Vater“ anrufen können.
Die mündliche Verkündigung und der ethische Lebensstil sind zwei Aspekte der Teilnahme der Kirche an der missio Dei: Wort und Tat im Einklang.
Petrus macht in seinem Brief folgende steile Aussagen über den Lebensstil eines Jesus-Nachfolgers:
Führt darum ein vorbildliches Leben! Sie mögen euch zwar verleumden und als Übeltäter hinstellen, doch wenn sie all das Gute sehen, das ihr tut, lassen sie sich vielleicht eines Besseren belehren und werden das dann zur Ehre Gottes auch anerkennen, wenn er am Tag des Gerichts Rechenschaft von ihnen fordert. (2,12; NGÜ)
Denn Gott will, dass ihr durch ein vorbildliches Verhalten das törichte Gerede derer zum Verstummen bringt, die euch aus Unwissenheit verleumden. (2,15; NGÜ)
Nun zu euch Frauen: Ordnet euch euren Männern unter; tut es auch dann, wenn sie nicht bereit sind, auf ´Gottes` Wort zu hören. Denn vielleicht werden gerade sie durch euer Verhalten auch ohne Worte ´für Christus` gewonnen, wenn sie sehen, dass euer Leben von der Ehrfurcht vor Gott bestimmt wird und seine Heiligkeit widerspiegelt. (3,1–2; NGÜ)
Es geht also in diesen drei Abschnitte um einen Lebensstil, der von der Hoffnung auf Gott unseren Vater gegründet ist. Ein vorbildlicher Lebensstil und Wortverkündigung vereinen sich dann in 3,15–16 (NGÜ):
Ehrt vielmehr Christus, den Herrn, indem ihr ihm von ganzem Herzen vertraut. Und seid jederzeit bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der euch auffordert, Auskunft über die Hoffnung zu geben, die euch erfüllt.
Aber tut es freundlich und mit dem gebotenen Respekt, ´immer darauf bedacht,` ein gutes Gewissen zu haben. Denn wenn ihr ein vorbildliches Leben führt, wie es eurer Zugehörigkeit zu Christus entspricht, werden die, die euch verleumden, beschämt dastehen, weil ihre Anschuldigungen sich als haltlos erweisen.
In diesen beiden Versen verbindet sich aber nicht nur unser Lebensstil und Wortverkündigung, sondern es kommt auch der Begriff der Hoffnung wieder hinzu. Worum es in dieser Hoffnung geht, hat Petrus uns bereits in seinem ersten Kapitel klargemacht:
Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns in seinem großen Erbarmen neu gezeugt zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unzerstörbaren, makellosen und unvergänglichen Erbe, das im Himmel für euch aufbewahrt ist. (1,3–4; EÜ)
Durch ihn habt ihr zum Glauben an Gott gefunden, der ihn von den Toten auferweckt und ihm Macht und Herrlichkeit verliehen hat, und deshalb ruhen jetzt euer Vertrauen und eure Hoffnung auf Gott. (1,21; NGÜ)
Es ist also keine spekulative Hoffnung, sondern eine eschatologische, die durch die Auferstehung Wirklichkeit geworden ist.
In seinem Essay über die Eschatologie und Mission im 1. Petrusbrief, erklärt Grant LeMarquand, dass die alttestamentliche und jüdische Eschatologie „Gottes zukünftige Rettung Israels und seiner Schöpfung vor dem Verfall der Sünde, des Bösen und des Todes antizipiert. Eschatologie ist also die Erwartung, dass Gott handelt, um zu richten und zu retten, die Gewissheit, dass der Gott, der in der Vergangenheit gekommen ist noch einmal entschlossen handeln wird. Mit anderen Worten: Eschatologie ist von Natur aus missionarisch.“18
Eschatologie ist von Natur aus missionarisch, da sie mit Gottes Handeln fest rechnet. Gott sendet die Seinen und vollendet Seinen Plan. Wir sind privilegiert an der Mission Gottes teilzunehmen. Petrus drückt das so aus: „Segnet! Denn dazu hat Gott euch berufen, damit ihr dann seinen Segen erbt“ (3,9; NGÜ).
So sehen wir uns selbst als „Fremde und Gäste“, Pilger in dieser Welt, die dazu berufen sind ein Segen zu sein. So kehren wir wieder zu Abraham-Geschichte zurück. Denn in der Berufung Abrahams lesen wir:
Ich werde dich zum Stammvater eines großen Volkes machen. Ich werde dich segnen und deinen Namen überall berühmt machen. Du wirst ´für viele Menschen` ein Segen sein. Wer dir Gutes wünscht, den werde ich segnen, und wer dir Böses wünscht, den werde ich verfluchen. Durch dich sollen alle Völker der Erde gesegnet werden. (Gen 12,2–3: NGÜ)
Wie kann so ein Segen-Sein denn ganz konkret aussehen? Dies beschreibt Petrus in 4,7-11 (EÜ):
Das Ende aller Dinge ist nahe. Seid also besonnen und nüchtern und betet! Vor allem haltet beharrlich fest an der Liebe zueinander; denn die Liebe deckt viele Sünden zu. Seid untereinander gastfreundlich, ohne zu murren! Dient einander als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der Gabe, die er empfangen hat! Wer redet, der rede mit den Worten, die Gott ihm gibt; wer dient, der diene aus der Kraft, die Gott verleiht. So wird in allem Gott verherrlicht durch Jesus Christus. Sein ist die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen.
Man bemerke, dass Gastfreundschaft (4,9) eschatologisch motiviert ist (4,7)! Unsere Gastfreundschaft begründet sich in Gottes Gastfreundschaft uns gegenüber. Weil wir „Fremde und Gäste“ sind, aber nun doch zum Haus Gottes gehören, und Gott als Vater anrufen, so können auch wir andere zu Tisch bitten.
Tricia Stephens definiert Christen sowohl als Gastgeber als auch als Gäste neu - etwas, das sich jeder Missionar zu Herzen nehmen sollte. (Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es schwierig ist, in den Quechua-Gemeinschaften in den peruanischen Anden „nur“ ein Gast zu sein und Gastfreundschaft zu empfangen). Ein Gastgeber zu sein spiegelt „Gottes Großzügigkeit und die Liebe Gottes“ wider. Gast zu sein „kultiviert Demut und Offenheit.“19
Dieses Verständnis des Christseins verbindet dann auch die Gastfreundschaft mit der Eschatologie. Stephen begründet, dass „eine Eschatologie der Hoffnung diejenigen aufnimmt, die in der Zwischenzeit leiden, und spiegelt die Hoffnung auf die Vollendung des Reiches Gottes wider.“20
Wir dürfen auch als Gastnehmer Gastfreundschaft annehmen und so Wertschätzung beweisen. Gastfreundschaft zu leben, heißt, dass wir „Raum schaffen“. Und zwar nicht nur dreidimensionalen Raum, sondern auch zeitlichen. Zeit mit Menschen in unserer Umgebung verbringen, das ist Gastfreundschaft. Das ist nicht immer einfach. In eine „fremde Kultur“ hineinzugehen, fordert uns heraus unsere „comfort-zone“ zu verlassen. Es ist auch ein Stück weit Risiko. Werde ich verstanden? Verstehe ich überhaupt irgendetwas?
Ich persönlich war schon in einigen Situationen, in denen ich als Deutscher der einzige war, der nicht zum Kulturkreis gehörte. Da gibt es sprachliche Barrieren, kulturelle Hürden (Wie begrüßt man? Wen begrüßt man? Was darf man, was darf man nicht?) und dann ist da auch noch die Mauer der eigenen Scham. Man will sich ja nicht blamieren.
Aber, so wie Gott uns Hoffnung und Zuversicht gibt, so dürfen auch wir freigiebig und von Herzen Gasfreundlichkeit leben, ohne auf irgendeine Rückzahlung zu hoffen. Wo teilen wir die Liebe Gottes auf gastfreundschaftliche Weise ganz bewusst mit Menschen, die uns tag-täglich begegnen? Welche Vorurteile, die wir heute haben, gilt es abzubauen? Was ist mit Gefangenen, Flüchtlingen und den kulturell „Anderen“? Was ist mit unserem Nachbar? Unseren Arbeitskollegen?
Ich hoffe, dass dieser Beitrag dazu dient den Gott der Bibel etwas näher (oder vielleicht sogar ganz neu) kennenzulernen und dass wir neu herausgefordert sind Gastfreundschaft zu leben und nicht nur darüber nachzudenken.
Wir kommen nun zum Schluss.
So sehen wir uns selbst als „Fremde und Gäste“, Pilger in dieser Welt, die dazu berufen sind ein Segen zu sein.
Schlussfolgerungen
In der Einleitung hatte ich kurz die Gedanken von Schnädelbach zum Geburtsfehler der Mission im christlichen Glauben angedeutet. Ich denke allerdings, dass Mission kein Geburtsfehler, sondern ganz natürlich zur neuen Geburt dazugehört:
Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten (1,3; LUT2017)
Kirche oder Gemeinde ist nur dann Kirche, wenn sie an der Mission Gottes teilnimmt. Wir sind hier nur Fremde und Gäste in dieser Zwischenzeit.
Es ist die Zeit im Horizont einer neuen Zukunft. Diese neue Zukunft ist eschatologisch zu verstehen. Wir leben also am Ende der Zeit. Nicht nur, weil unsere Zeit Zeichen der Endzeit trägt, sondern weil diese neue Zukunft schon in unser „Hier-und-Jetzt“ eingedrungen ist.
Die Auferstehung hat bereits stattgefunden: „Christus ist von den Toten auferstanden! Er ist der Erste, den Gott auferweckt hat, und seine Auferstehung gibt uns die Gewähr, dass auch die, die im Glauben an ihn gestorben sind, auferstehen werden“ (1 Kor 15,20; NGÜ).
Es ist ein wanderndes Hoffen, aber auch ein hoffendes Wandern! Wir leben nun in dieser lebendigen Hoffnung: „Eine Theologie der Hoffnung (Eschatologie) motiviert und lädt uns ein, uns in der missio Dei zu engagieren.“21
Wir sind Hoffnungsträger in diesen Zeiten, denn von der neuen Zukunft sind wir gelenkt und pilgern voller Zuversicht/Hoffnung zum οἶκος des Vaters.
Quellen
- Auch hier zugänglich: http://www.humanistische-aktion.de/fluch.htm . Hier die sieben Fehlgeburten laut Schnädelbach: 1. die Erbsünde, 2. die Rechtfertigung als blutiger Rechtshandel, 3. der Missionsbefehl, 4. der christliche Antijudaismus, 5. die christliche Eschatologie, 6. der Import des Platonismus und 7. der Umgang mit der historischen Wahrheit.
- I. Howard Marshall, New Testament Theology: Many Witnesses, One Gospel (Downers Grove, IL: IVP Academic; Nottingham: Apollos, 2004), 34.
- Andreas J. Köstenberger and Peter T. O’Brien, Salvation to the Ends of the Earth: A Biblical Theology of Mission, NSBT (Leicester: Apollos; Downers Grove, IL: InterVarsity Press, 2001), 19.
- Peter T. O’Brien, “Mission, Witness, and the Coming of the Spirit,” BBR 9 (1999): 204. See also Donald Senior, “The Struggle to Be Universal: Mission as Vantage Point for New Testament Investigation,” CBQ 46 (1984): 64, who states: “The amount of critical work on the early church’s universal mission and its attendant problems is surprisingly slim.”
- Christoph Stenschke, “Das Neue Testament als Dokumentensammlung urchristlicher Mission: Alter Hut oder neue Perspektive?,” JETh 19 (2005): 167–90.
- Lesslie Newbigin, The Household Of God (New York: Friendship Press, 1954), 169, says: “a Church which has ceased to be a mission has lost the essential character of a Church.” David J. Bosch, Transforming Mission: Paradigm Shifts in Theology of Mission (Maryknoll, NY: Orbis, 1991), 494, states that “the church ceases to be church if it is not missionary.”
- Miroslav Volf, “Soft Difference: Theological Reflections on the Relation between Church and Culture in 1 Peter,” Ex Auditu 10 (1994): 16. “The beliefs and practices of a Christian community are inextricably bound to its character as a social reality; when you change one, sooner or later you will change the other too.”
- Mark Wilson, “Peter’s Christian Communities in Asia Minor (1 Peter 1:1)” in Lexham Geographic Commentary on Acts through Revelation, edited by Barry J. Beitzel, Jessica Parks, and Doug Mangum. Lexham Geographic Commentary (Bellingham, WA: Lexham Press, 2019), 604–618 (605).
- Jürgen Moltmann, Theologie der Hoffnung: Untersuchungen zur Begründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie, Beiträge zur evangelischen Theologie 38 (München: Chr. Kaiser Verlag, 1966), 312.
- Stanisław Hałas, “‘He May Exalt You at the Expected Time’ (1 Pet 5:6). The Conception of Time in the First Letter of Peter,” Verbum Vitae 38.1 (2020): 227, writes that the author “makes the difference between χρόνος, as a definition of continuous and linear time, and καιρός as a definition of a point in time. The whole time orientation of the Letter aims exactly at καιρός as a highly expected and desired, by the recipients of the Letter, moment in which they should expect the magnificent reward in the form of appreciation, recognition and exaltation provided by God.”
- Reinhard Feldmeier, Die Christen als Fremde: Die Metapher der Fremde in der antiken Welt, im Urchristentum und im 1. Petrusbrief, WUNT 64 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1992), 138.
- Moltmann, Theologie der Hoffnung, 11–12.
- Feldmeier, Die Christen als Fremde, 53.
- Feldmeier, Die Christen als Fremde, 178.
- Volf, “Soft Difference,” 18.
- Feldmeier, Die Christen als Fremde, 104.
- Volf, “Soft Difference,” 21.
- Grant LeMarguand, “Eschatology and Mission in 1 Peter,” in Reading 1 Peter Missiologically: The Missionary Motive, Message and Methods of 1 Peter, ed. Abeneazer G. Urga, Jessica A. Udall, and Edward L. Smither (Littleton, CO: William Carey Publishing, 2024), 84.
- Tricia Stephens, “Missional Hospitality: Responding to Physical and Spiritual Alienation,” in Reading 1 Peter Missiologically: The Missionary Motive, Message and Methods of 1 Peter, ed. Abeneazer G. Urga, Jessica A. Udall, and Edward L. Smither (Littleton, CO: William Carey Publishing, 2024), 153.
- Stephens, “Missional Hospitality,” 156.
- Benjamin Marx, “The missio Dei and the Identity of the Church in 1 Peter: A Book Review Essay,” Afr. Christ. Theol. 2.1 (2025): 124.